Zu verborgenen Meilensteinen des Grazer Architekturgeschehens
Datum: 7. September 2018
Ort: Graz
Teil 3 und somit der Abschluss der Veranstaltungsreihe „Zeitreisen“, organisiert vom Verein für BauKultur: Die im Titel zur Exkursion versprochenen verborgenen Meilensteine weckten jedenfalls Neugierde.
So traf man sich am legendären Ortweinstandl und betrachtete so manches bisher verborgene Detail der Fassade der ehemaligen Bundeslehranstalt für das Baufach und Kunstgewerbe. Geplant und umgesetzt wurde dieser Bau 1926 bis 1930 von Adolf Ritter von Inffeld. Dieser Schüler von Camillo Sitte und Otto Wagner tritt wiederum gemeinsam mit Viktor von Geramb in den Bemühungen um die steirische Heimatschutzarchitektur in Erscheinung und ist neben anderen eines der Gründungsmitglieder des 1909 etablierten Steiermärkischen Vereines für Heimatschutz – dem nunmehrigen Verein für BauKultur. Mit Gunther Hasewend (ehem. Obmann), Günter Koberg (ehem. Geschäftsführer) und Barbara Meisterhofer (Geschäftsführerin seit 2017) sind zudem Personen an diesem für den Verein fast geschichtsträchtigen Ort mit von der Partie, die in den letzten Jahrzehnten und auch aktuell die Vereinsführung prägten und prägen.
Steter Platzmangel in der Baufachschule bis zu deren Auszug 1987 und eine darauffolgende Phase heterogener Zwischennutzungen setzten der originalen Bausubstanz zu. Gegen Ende der 1990er Jahre erhielt der Gebäudekomplex als Modeschule eine neue Bestimmung, mit der auch eine Modernisierung durch Architekt Adolph-Herbert Kelz einherging. Der Kopfbau von Inffeld wurde zurückhaltend saniert, von späteren Einbauten befreit und damit die ursprüngliche Großzügigkeit wiederhergestellt. So rücken erstaunlich gut erhaltene Details wie die beindruckenden Türrahmen samt Türblättern, Holzvitrinen, Stiegengeländer etc. ins Zentrum der Aufmerksamkeit und können ihre Wirkung uneingeschränkt entfalten.
Im ohnehin schon stark überformten Südtrakt bot sich die Gelegenheit, zusätzliche Fläche zu generieren. Hier erweiterte Kelz die Trakttiefe mit einem hofseitigen Zubau, einer filterartigen Schicht, die Tageslicht tief in den Baukörper holt und vor den straßenseitig angeordneten Werkstätten eine als Aufenthaltszone genutzte Raumskulptur bildet. Wie beim anschließenden Altbestand lohnt sich auch hier der Blick aufs Detail. So entdeckt man im Zubau und an seiner Fassade Anspielungen und Hinweise zur Stoffverarbeitung – architektonische Interpretationen der Nutzung als Schule für Modedesign.
Nach einem kurzen Abstecher ins Wohnhaus Brockmanngasse 112 von Croce & Klug wurde mit dem Pfarrzentrum Salvator ein Kirchenbau besucht. Das zu Beginn der 1980er Jahre fertiggestellte Bauwerk, geplant vom TEAM A GRAZ (Franz Cziharz 1939–1998, Dietrich Ecker 1938–1995, Herbert Missoni *1938 und Jörg Wallmüller 1934–2016), wird ebenso wie das von Ferdinand Schuster (1920–1972) geplante Seelsorgezentrum in Graz St. Paul stark von den Gedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils geprägt und positioniert die Kirche nicht nur als Haus für feierliche Gottesdienste, sondern auch als Treffpunkt und Ort des Austauschs für den umliegenden Stadtteil. Ein zumindest aus persönlicher Sicht spannendes Wiedersehen – wurden hier während der Zeit an der Ortweinschule doch einige Stunden verbracht, um das eigene Skizziervermögen zu schulen. Stand damals das Spiel der Formen im Vordergrund, wurden an diesem Nachmittag die Grundprinzipien der Planung und der theologische Rahmen diskutiert. Fabian Wallmüller, Sohn von Jörg Wallmüller und ebenfalls Architekt, erläuterte die Hintergründe der Planung, Pater Leo Thenner den Entstehungsprozess bzw. seine jahrelange Geschichte als Pfarrer und Bewohner vor Ort.
Ein flächiger Raster und prägende Betonsäulen mit kreuzförmigen, verputzten Kapitellen bilden das Grundgerüst der Kirche. Außen wie innen bleiben diese beiden Elemente stets sichtbar und wahrnehmbar – dennoch werden in den unterschiedlichen Räumen jeweils spezifische Atmosphären kreiert: die meditativ anmutende Kapelle, der feierliche Kirchenraum mit hölzerner Decke und eine mit Glas überdachte Ganggalerie, die zur Alltagsinteraktion dient und wo sich Pfarrangelegenheiten, Wohnen und Kunstgalerie überlagern und so die Stimmung verdichten. Bezogen auf den städtebaulichen Kontext wurde versucht, das Volumen möglichst stark zu gliedern, um an die vorwiegend von Einfamilienhäusern geprägte, kleinteilige Umgebung anzuknüpfen.
Ein gänzlich anderer Eindruck entsteht, wenn man sich der Klusemannschule von Andreas Fellerer und Jiri Vendl im Umfeld der heterogenen Kärntnerstraße nähert. Selbstbewusst steht hier ein metallisch schimmernder, elendslanger Riegel im Feld – ein Anblick, den die anwesenden Architekten trotz Gewitterregens sichtlich immer noch genießen. Danach berichteten sie triefend nass von ihren Intentionen für das Schulgebäude mit seiner industriell anmutenden Erscheinung und führten gemeinsam mit Direktor Klaus Tasch ins Innere. Hier reicht ein fast 150 Meter langer Gang von einem Ende zum anderen. Fadesse ist angesichts der großzügigen und robusten Planung trotzdem nicht spürbar. Immer wieder erweitert sich der Gang zu richtigen Plätzen und bietet damit Aufenthaltsqualität und notwendige räumliche Flexibilität. Im Zusammenspiel mit den vorgelagerten Turnsälen und den Öffnungen zwischen den Geschossen entstehen so sich ständig wandelnde Raumeindrücke mit unterschiedlichsten Blickbeziehungen. Ein zu Betriebszeiten sicherlich pulsierender Raum, dem die ruhigen, nach Süden orientierten Klassenräume gegenübergestellt werden.
Die verborgenen Meilensteine des Grazer Architekturgeschehens: Sie zeigen unterschiedliche Zugänge und Möglichkeiten, um bestimmten gemeinschaftlichen Anliegen Ausdruck zu verleihen. Sie zeigen auch die besondere Aufmerksamkeit, die dem jeweiligen Kontext geschenkt wurde. Man darf gespannt sein, ob und in welcher Form diese Veranstaltungsreihe fortgesetzt wird!
Gernot Reisenhofer