Ein Ausflug zu prägenden Pretiosen des Grazer Architekturgeschehens
Datum: 15. Juni 2018
Ort: Graz
Grazer Ikonen – erstaunlich wohnlich!
Wie wohnt es sich in Architekturikonen? Haben sich die Pretiosen des heimischen Architekturgeschehens über die Jahre verändert bzw. als wie erfolgreich hat sich die damalige Suche nach neuen räumlichen Konzepten über die Jahre erwiesen?
Nach Antworten auf diese Fragen wurde in der ersten von drei „Zeitreisen“ gesucht.
Unter der Leitung von Barbara Meisterhofer (Geschäftsführerin des Vereins BauKultur Steiermark) und Hans Gangoly (Vorstandsmitglied) wurden fünf ausgewählte Privathäuser besucht, die in den 1960er, 70er und 80er Jahren in Graz entstanden sind; allesamt Frühwerke und Erstlinge mit denen einige der prägenden Architekten der „Grazer Schule“ ihre Karrieren begründet bzw. ihre Haltungen definiert hatten – Bauten also, denen das Experiment wie auch die jeweilige Dialektik gleichermaßen immanent sind.
Dazu zählen die unweit voneinander liegenden frühen Planungen des Architektenpaares Szyszkowitz/Kowalski mit ihren divergenten räumlichen Bezügen, die verborgene Perle von Josef Klose für den Grafikdesigner Karl Neubacher, Hubert Rieß’ Haus Öttl inmitten eines kleinen Waldes sowie die Kernhaussiedlung der Gruppe 3 (Nikolaus Schuster, Herfried Peyker, Werner Nussmüller), bestehend aus zehn Privathäusern, die im Verband geplant, gebaut und organisiert wurden. Allesamt Häuser, die unter normalen Umständen nur schwer oder gar nicht besichtigt werden können. Umso erfreulicher war es daher, dass dies im Zuge dieser „Zeitreise“ ermöglicht wurde.
Die vorwiegend in Holz konstruierten Ikonen erwiesen sich beim Besuch durchwegs als erstaunlich wohnlich und ihr Zustand trotz des Alters als erfreulich gut! Besitzerwechsel haben bei keinem der Projekte stattgefunden. Selbst Adaptierungen wurden, wenn überhaupt, nur in kleinem Maße vorgenommen, sodass die meisten Häuser in ihrer baulichen Substanz mitsamt Möblierung großteils noch im Originalzustand erhalten sind – ein Indiz für die hohe Wohnzufriedenheit der BauherrInnen sowie für die Intelligenz der Planungen und der dahinterliegenden Konzepte.
Räumlich wissen die Bauten – bei all ihrer Unterschiedlichkeit – auch Jahrzehnte nach ihrem Entstehen noch zu überzeugen, auch wenn sich die leeren Räume, die man aus den Publikationen der Entstehungszeit kennt, inzwischen mit Kunst, Büchern und anderem gefüllt haben. Generell beachtenswert ist der sensible Umgang mit dem jeweiligen Kontext. Beispielgebend hierfür können die beiden eklektischen Kompositionen von Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski stehen: einerseits das Haus im Tal, bei dem eine offene, galeriegesäumte siebeneinhalb Meter hohe Wohnhalle das Innere des Hauses ins Zentrum rückt und die knapp 150 Quadratmeter zu einem erstaunlich großzügigen Raumkontinuum werden lässt. Andererseits das nahe Haus am Berg (an einer Hügelkuppe situiert) mit vielschichtiger Vegetation und unterschiedlichen, durchaus spektakulären Ausblicken. Hier wird der Bezug zum Außenraum zum bestimmenden Thema und manifestiert sich insofern, als Räume und Zimmer über vielfältige und vom Bauherrn ausdrücklich gewünschte Verbindungen zur umgebenden Landschaft verfügen.
Diese Hintergründe und weitere Anekdoten zu den Entstehungsgeschichten sowie Einblicke in die Aneignung dieser beispielhaften Wohnkonzepte durch ihre Benutzer wurden durch die Offenheit der jeweiligen Bauherrschaft und durch die Anwesenheit von Karla Kowalski, Hubert Rieß und Werner Nussmüller, die ausführlich über ihre Planungen sprachen, wunderbar nachvollziehbar. So konnte man tatsächlich in die Gedankenwelt dieser Grazer Architekturikonen eintauchen – der Titel „Zeitreisen“ ist also durchaus gerechtfertigt.
Gernot Reisenhofer